Folter zur Debatte?

Von René Talbot
Zwangspsychiatrie und die Folterdebatte in der westlichen Welt

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe der „Zwang” - Zwangspsychiatrie ist Folter - dient dem Nachweis, dass die folgenden Sätze in den Satzungen von IAAPA und Irren-Offensive nicht nur die subjektive Sicht der Betroffenen wiedergeben, sondern eine zutreffende, „objektive“ Zustandsbeschreibung sind: Hiermit erklären wir als eine Art Folter: psychiatrische Verfolgung, willkürliche psychiatrische Einsperrung und körperlichen psychiatrischen Zwang zum Eindringen in den Körper - Behandlung mit Drogen, Elektroschock, Psychochirurgie, Fixierung u.a. Diese Maßnahmen wurden seit Bestehen der Zwangspsychiatrie immer und immer wieder von Menschen überall auf der Welt als Folter bezeichnet, unabhängig davon, ob jemand von medizinischem Personal als "geschäftsunfähig" bezeichnet wurde und der Ort dieser Maßnahmen eine „medizinische Einrichtung“ namens „Krankenhaus“ sein soll.

Mit diesem Nachweis wird das Ungeheuerliche von Zwangspsychiatrie begrifflich erfaßbar, bedeutet er doch nicht mehr und nicht weniger, als dass durch die Analyse „Folter“ das ganze, an Zwangspsychiatrie beteiligte Berufsgeflecht kriminalisiert wird: Die gutachtenden Psychiater, ihre bei der Ausübung der Folter behilflichen Subordinierten und die Justiz, die tatsächlich gegebene Ermessungsspielräume des Rechts auf Krankheit systematisch gegen die Betroffenen wendet.

Um die Dimension des Schreckens von Zwangspsychiatrie zu verdeutlichen, ist es sehr sinnvoll, sich die aktuellen Folterdebatten in den USA und der BRD vor Augen zu führen: einerseits Abu Ghraib als Sinnbild für offenbar weltweit Dutzende von Folterzentren der US-Geheimdienste und andererseits die Eröffnung des Verfahrens gegen den Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei Daschner. In beiden Fällen scheint die offizielle Sprachregelung Bestand zu behalten, dass Folter (im internationalen Fachjargon: „cruel, degrading, inhumane treatment”) Verbrechen ist und bleibt.

In den USA haben der Präsident und das Verteidigungsministerium 2002 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass Folter in eine zulässige und eine unzulässige Form der Nötigung zu unterteilen versucht. Interessant dabei ist, dass das zwangsweise Verabreichen von „mind altering drugs“ selbst bei diesem Versuch, bestimmte Formen der Folter zu legitimieren, regelmäßig als schwere Folter angesehen wird. Siehe den Bericht der NY Times vom 27. Juni 2004 „Word for Word“ von Kate Zernike: www.nytimes.com/2004/06/27/weekinreview/27word.html

In Deutschland gilt die Aufmerksamkeit der Drohungen Daschners mit körperlichen Mißhandlungen dem Mörder und Entführer zwar mehr den Umständen der Folterung - der falschen Hoffnung, damals unmittelbar ein Kind retten zu können. Wichtiger für unseren Kontext ist jedoch der juristisch breite Konsens in die Verwerflichkeit des Tuns und der wichtige Hinweis: Folter ist auch schon Folter, wenn nur mit ihr gedroht wird: Die Option auf die Einweisung in eine geschlossene Abteilung und die dort übliche Zwangsbehandlung ist schon die Nötigung, die das ganze psychiatrische System zu einem Gulag, zu einem „Kerkersystem mit Folterregime” (Foucault) macht.

Nötigung, die Drohung mit Gewalt und angewandte Gewalt, stehen also im Zentrum des Begriffs der Folter. Diese Nötigung zu einem Geständnis macht Zwangspsychiatrie zur Folter, die Nötigung zu dem Geständnis „Krankheitseinsicht“ in eine nicht vorhandene „Krankheit“, also die Nötigung zu einer selbstverleumderischen Lüge. Dem Einwand, wenn man Zwangspsychiatrie mit den schweren körperlichen, oft sogar tötlichen Formen der Folter gleichsetze, würden diese schweren Verbrechen verharmlost bzw. deren Opfer unzulässig relativiert, muß entschieden entgegengetreten werden: Einerseits verwenden Folterer immer ausgetüfteltere Methoden, um keine körperlichen Spuren der Folter bei Freigekommenen zu hinterlassen, damit die Verbrechen schwerer verfolgt werden können, ohne dass sie dies „relativieren“ könnte. Andererseits ist gerade die Aufmerksamkeit auf „unspektakuläre“, nahezu „harmlos“ erscheinende Folter ein Schutz auch vor deren drastischen Formen, denn die Aufmerksamkeit und der Blick für entmenschlichende Handlungen wird so insgesamt geschärft.

Obwohl nun in der BRD wie den USA zwar öffentlich die Aufweichung des Folterbegriffs debattiert wurde, wurde sie letztendlich aber auch vom White House verworfen. Das wirft noch einmal mehr Licht auf den riesigen blinden Fleck, der in der Wahrnehmung der psychiatrischen Zwangspraktiken herrscht. Ohne dass die Hoffnung besteht – wie bei Daschner - , ein entführtes Kind vor dem Tod zu bewahren, wird eingesperrt, gedroht, gedemütigt, grausam und entmenschlichend ans Bett gefesselt, werden zwangsweise bewußtseinsverändernde Drogen gespritzt und sogar zwangsweise elektrogeschockt; alles anerkannte Verbrechen der Staatsorgane, wenn sie nicht an willkürlich zu „geisteskrank“ Erklärten begangen werden, an Menschen, die damit 60 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft immer noch rechtlich den Status von Untermenschen haben.

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